Jahreslosung 2021

Lukas 6,36


Unsere Gedanken zur Jahreslosung

Normalerweise gibt’s am Jahresanfang gute Wünsche. Wir wünschen einander ein gutes neues Jahr. Wir wünschen einander Gottes Segen – oder auch einfach nur Glück. Wir wünschen einander – und zurzeit besonders – Gesundheit: „Bleib gesund!“ Auf jedem Brief, jeder Email, jeder WhatsApp-Nachricht ist das der neue Gruß geworden.

Normalerweise gibt’s am Jahresanfang gute Wünsche. Worte, die Hoffnung machen: Auf einen neuen Anfang, dass ich die guten Vorsätze, die ich habe, auch umsetzen kann; dass es besser wird als letztes Jahr: ohne Corona, ohne Kontaktbeschränkungen, mit einem Impfstoff.

Normalerweise gibt’s am Jahresanfang gute Wünsche. Und ich wünsche Dir alles Gute, Gesundheit, Gottes Segen.

Nur das Bibelwort fürs neue Jahr, die Jahreslosung, die ist – da muss ich Dich enttäuschen – die ist diesmal kein guter Wunsch. Sie ist kein Hoffnungswort. Sie ist kein Trostwort. Die Losung fürs neue Jahr ist eine Aufgabe! Eine Aufgabe, ein Auftrag, den uns Jesus selber gibt. Die Jahreslosung ist aus Lukas 6,36.Da steht: Jesus Christus spricht: "Seid barmherzig, wie auch euer Vater barmherzig ist!"

  1. Barmherzigkeit ist tiefes Mitgefühl
  2. Barmherzigkeit kommt von Gott
  3. Barmherzigkeit ist unser Auftrag

1. Barmherzigkeit ist tiefes Mitgefühl

Mitleid könnte man auch sagen. Aber nicht im Sinn von Bedauern. Das kann ja schnell auch oberflächlich klingen, wenn ich jemand zu sehr bemitleide: „Oh, der Arme!“, ironisch sogar. Gespieltes Mitleid, ausgesprochenes Bedauern. Manche Leute werden da sogar aggressiv: Ich will kein Mitleid. Ich brauch dein Bedauern nicht. Warum? Weil’s gar nichts hilft und nichts ändert. Dahingesagtes Mitleid schafft oft mehr Distanz als Nähe.

Kennst Du die Geschichte von Hiob? Von dem sagt die Bibel, er sei „fromm und rechtschaffen, gottesfürchtig und meidet das Böse.“ Und er war reich. Und dann lässt Gott es zu, dass großes Unheil über ihn hereinbricht. Er verliert seinen ganzen Besitz, seine Kinder kommen ums Leben, und dann wird er noch schwer krank. Und der Hiob hat drei Freunde. Die kriegen mit, wie’s ihm geht. Und jetzt lese ich, was hier steht, Hiob 2,11b: „Sie vereinbarten hinzugehen, um ihm ihre Teilnahme zu bezeigen und um ihn zu trösten.“ Die wollen ihr Beileid ausdrücken, ihn trösten, ihm gut zureden, gute Wünsche sagen. Ich lese weiter: „Als sie von fern aufblickten, erkannten sie ihn nicht; sie schrien auf und weinten. Jeder zerriss sein Gewand; sie streuten Asche über ihr Haupt gegen den Himmel. Sie saßen bei ihm auf der Erde sieben Tage und sieben Nächte und keiner sprach ein Wort zu ihm. Denn sie sahen, dass der Schmerz sehr groß war.“

Verstehst Du? Die wollen ihr Mitleid ausdrücken, trösten. Und dann sehen sie den Hiob, und es verschlägt ihnen die Sprache. Und sie sagen gar nichts! Weil sie merken, dass jedes Wort an Mitleid hier eins zu viel ist, dass sich das Leid und der Schmerz in keine Worte fassen lässt, dass jedes Wort des Bedauerns in so einer Situation nur oberflächlich klingt. „Sie saßen bei ihm auf der Erde sieben Tage und sieben Nächte und keiner sprach ein Wort zu ihm. Denn sie sahen, dass der Schmerz sehr groß war.“ Das ist Barmherzigkeit. Das ist tiefes Mitgefühl. Die sehen wie’s dem geht. Die sehen den Mensch Hiob.

Barmherzig sein heißt: einen Menschen in seiner ganzen Bedürftigkeit sehen und verstehen. Und bedürftig sind nicht nur Menschen, die krank sind oder in materieller Not. Bedürftig sind alle Menschen. Jeder von uns ist bedürftig und jede, braucht Liebe und Angenommensein, braucht ein Ziel und eine Aufgabe, braucht Frieden, auch innerlich, braucht Geborgenheit. Das zu wissen, das zu sehen, zu verstehen, nicht nur das, was jemand nach außen darstellt, seine Schwäche oder seine Stärke, sein Ich-bin-der-Tollste oder sein Ich-kann-gar-nichts hinter die Fassade zu schauen eines Menschen ihn annehmen, akzeptieren, nicht verurteilen, trotz seines vielleicht für mich komischen oder abstoßenden oder bedrohlichen Auftretens, weil ich weiß, dass dahinter eine tiefe Bedürftigkeit steht – das ist Barmherzigkeit. Barmherzigkeit ist tiefes Mitgefühl.

2. Barmherzigkeit kommt von Gott

„Seid barmherzig“, sagt Jesus, „wie euer Vater barmherzig ist!“ Gemeint ist der himmlische Vater hier, gemeint ist Gott. Gott ist barmherzig. Der Apostel Paulus sagt, 2 Kor 1,3: Gott ist der Vater der Barmherzigkeit. Mose hat das verstanden bei seiner großen Gottesbegegnung auf dem Berg Sinai, als Gott an ihm vorübergeht, ruft er aus, Ex 34,6: „HERR, HERR, Gott, barmherzig und gnädig und geduldig und von großer Gnade und Treue“. Oder Ps 103,8: „Barmherzig und gnädig ist der HERR, geduldig und von großer Güte.“

Liebe Freunde, das ist das allerwichtigste. Das kommt zu allererst. Das müssen wir vor allem anderen wissen, das ist zentral an unserem Glauben: Unser Gott ist der Vater der Barmherzigkeit. Wir haben einen barmherzigen Gott. Der meine Bedürftigkeit kennt, meine Not, meine Sehnsucht, mein Bedürfnis, angenommen zu werden, was zu gelten – und der mich mit meiner ganzen Bedürftigkeit liebt und in den Arm nimmt.

So, wie der Vater im Gleichnis vom verlorenen Sohn, seinen Sohn in den Arm nimmt, der sich sein Erbe hat auszahlen lassen, und dann hat er’s auf den Kopf gehauen. Und als er nichts mehr hat, geht er fast drauf. Und dann fällt ihm sein Vater ein, und er sagt: Ich geh zurück, nicht als sein Sohn, aber vielleicht wenigstens als sein Arbeiter, und ich bitte ihn um Vergebung. Und dann steht er auf und geht zu seinem Vater, und dann steht in Lukas 15,20: „Als er aber noch weit entfernt war, sah ihn sein Vater und es jammert ihn, und er lief und fiel ihm um den Hals und küsste ihn.“ Diesen Bengel, diesen unmöglichen Sohn, der nichts mehr mit ihm zu tun haben wollte, den nimmt er in den Arm in seiner ganzen Bedürftigkeit, noch bevor er überhaupt um Vergebung bitten kann. Das ist die Barmherzigkeit, die von Gott kommt. Der Vater im Gleichnis steht für Gott.

Von dem barmherzigen Gott, vom Vater im Himmel, hat Jesus gepredigt. Von dem Gott, zu dem wir umkehren dürfen – ja, dürfen. Wie weit weg Gott immer für Dich sein mag, wie wenig Du mit ihm zu tun haben willst, wie sehr Du vielleicht gegen ihn bist und gegen ihn agiert hast: Du darfst umkehren zu Gott. Er nimmt Dich mit Freude in den Arm.

Und Jesus hat die Barmherzigkeit nicht nur gepredigt, er hat sie auch gelebt im Umgang mit Menschen, hat angenommen, hat vergeben, hat geheilt, hat sein Leben geopfert für uns und den Weg frei gemacht zu Gott. Damit wir das glauben, damit wir ihm glauben, dass Gott barmherzig ist. Barmherzigkeit kommt von Gott

3. Barmherzigkeit ist unser Auftrag

„Seid barmherzig, wie auch euer Vater barmherzig ist!“ „Seid barmherzig“, sagt Jesus. Das heißt: Gebt die Barmherzigkeit Gottes, die ihr an euch selber erlebt und für euch selber in Anspruch nehmt – gebt die Barmherzigkeit weiter. Kinder Gottes, des Vaters der Barmherzigkeit, die die sollen, die müssen doch auch barmherzig sein. Die können gar nicht anders als barmherzig sein. Oder?

Wobei, so selbstverständlich ist das nicht.Jesus hat mal ein Beispiel gemacht von einem,  der hat Schulden bei seinem Chef, 1 Million. Die kann er nicht zurückzahlen. Und der Chef will alles pfänden lassen, ihn ins Gefängnis bringen. Da fleht er ihn an, kniet vor ihm nieder, und bittet um Geduld. Was passiert? Der Chef kriegt Mitleid mit ihm und erlässt ihm seine komplette Schuld, die ganze Million. Einfach so, Wahnsinn! Der Mann geht raus – und vor der Tür trifft er einen Kollegen. Der schuldet ihm jetzt 100 Euro. Er geht zu ihm hin, packt ihn am Kragen, würgt ihn und will sein Geld zurück. Da fleht er ihn an, kniet vor ihm nieder, und bittet ihn um Geduld. Und jetzt fleht der Kollege ihn an, genau wie er vorher den König: Aber er geht nicht drauf ein und verklagt ihn. Und dann kriegt das der Chef mit. Er bestellt den Mann zu sich: „Deine ganze Schuld habe ich dir erlassen… Hättest du da mit“ deinem Kollegen „nicht auch erbarmen haben müssen, so wie ich mit dir Erbarmen hatte?“ Und er nimmt den Schuldenerlass zurück und lässt alles pfänden. Und Jesus sagt: So macht es Gott auch, wenn wir unbarmherzig mit anderen sind.

Ein hartes Gleichnis. Aber verstehst Du, was Jesus hier deutlich macht? Es geht nicht, dass ich Gottes Barmherzigkeit in Anspruch nehme, seine Liebe, seine Vergebung, aber selber bin ich unbarmherzig zu anderen. Das geht nicht. Nein, Jesus sagt: „Seid barmherzig, wie auch euer Vater barmherzig ist.“

Und dann konkretisiert Jesus, was das denn heißt: barmherzig sein. Die Jahreslosung steht in einem größeren Zusammenhang, nämlich in der Bergpredigt von Jesus. Und da geht’s um die Feindesliebe. „Gerade eure Feinde sollt ihr lieben!“ (Lk 6,35a), sagt Jesus. Dem, der mich nicht leiden kann, mir vielleicht Böses tut, schlecht über mich redet, was weiß ich – dem nicht aus dem Weg gehen, sondern ihm sogar Gutes tun, das heißt barmherzig sein.

Der russische Schriftsteller Dostojewskij wurde mal bei einem Spaziergang von einem Betrunkenen niedergeschlagen. Der Mann wird verhaftet. Aber Dostojewskij bittet die Polizei, ihn wieder freizulassen. Er verzeihe ihm. Der Mann bleibt trotzdem in Haft. Es kommt zur Gerichtsverhandlung. Dostojewski bittet auch da drum, von einer Bestrafung des Mannes abzusehen. Das macht der Richter, verurteilt ihn aber trotzdem „wegen Lärms und Störung der öffentlichen Ordnung”. Dafür soll er 16 Rubel bezahlen oder 4 Tage ins Gefängnis. Dostojewski wartet vor dem Gefängnistor auf den Mann. Er gibt ihm 16 Rubel, mit denen er seine Strafe bezahlen kann.

Barmherzigkeit ist unser Auftrag – auch im neuen Jahr. Vielleicht gerade im neuen Jahr. Die Jahreslosung stellt uns eine Aufgabe: Jesus Christus spricht: Seid barmherzig, wie auch euer Vater barmherzig ist!

Pfarrer Matthias Trick