Jahreslosung 2020

Markus 9,24

Kinderbild Glauben
© Edgar Kaemper

Unsere Gedanken zur Jahreslosung

In der Jahreslosung 2020 geht’s ums Glauben: „Ich glaube; hilf meinem Unglauben!“ (Markus 9,24)

Der Satz stammt mitten aus einer dramatischen Geschichte. Da geht’s um ein Kind, das unter unerklärlichen Symptomen leidet. Es wirft sich auf den Boden, kriegt Schaum vor den Mund, knirscht mit den Zähnen. Und dann wird es ganz steif. Die Leute sagen, es sei von einem bösen Geist besessen. Heute würden wir’s wahrscheinlich als Krankheit bezeichnen. Von den Symptomen her meinen manche, es sei Epilepsie. Wie auch immer: Die Eltern sind verzweifelt. Sie haben Angst um ihr Kind. Wer kann ihnen helfen? Wahrscheinlich haben sie Ärzte konsultiert. Sie haben’s beim Heilpraktiker versucht. Sie waren in der Kirche. Nichts hat geholfen.

Sie sind mit ihren Möglichkeiten am Ende. Das Einzige, was ihnen jetzt noch einfällt, ist Jesus. Und da geht jetzt der Vater hin mit seinem Sohn: zu Jesus. Und erzählt die Krankheitsgeschichte. Und dann kriegt der Sohn wieder so einen Anfall. Und Jesus fragt nach: Wie lange hat er das schon? Und der Vater erklärt: „Von Kind auf“, und dass er sich sogar schon ins Feuer geworfen hat und ins Wasser und fast gestorben sei. Und dann fleht er Jesus an und sagt: „Wenn du aber etwas kannst, so erbarme dich unser und hilf uns!“

Wie oft sagen Leute genau diese Worte: Wenn Gott kann, dann soll er doch helfen. Jesus, wenn’s dich gibt, dann mach was, tu ein Wunder! „Wenn du aber etwas kannst, so erbarme dich unser und hilf uns!“

Und was macht Jesus? Er fängt eine Diskussion an. Er sagt: „Wenn du kannst!“, sagst du. „Alle Dinge sind möglich dem, der da glaubt.“ Und der Vater von dem Kind, der hält’s fast nicht mehr aus. Und er sagt – nein, er schreit: „Ich glaube; hilf meinem Unglauben!“

1. Was Glauben ist

habe ich unter anderem im Chemieunterricht gelernt. 10. Klasse. Unser Lehrer hat einen Versuch vorbereitet. Ein Reagenzglas mit einer farbigen Flüssigkeit. Eine weitere Flüssigkeit in einer anderen Farbe wird hineingegeben –eigentlich müssen die beiden miteinander reagieren. Aber es passiert nichts. Für einen neuen Versuch in der Schulstunde ist keine Zeit. Da sagt der Lehrer zu uns: „Jetzt müssen Sie mir halt glauben.“ Super, oder? Weil das Experiment nicht funktioniert, müssen wir’s halt glauben, dass es so ist.

So verstehen wir „glauben“ oft: Ich kann’s nicht beweisen, also muss ich’s halt glauben. Ich weiß es nicht genau, also glaube ich’s nur. Ich bin mir nicht sicher, aber ich glaube. Ich halte einfach was für wahr, über das ich, wenn’s gut läuft, nichts sagen kann, und wenn’s nicht gut läuft ist’s gar nicht möglich, ausgeschlossen. Dann heißt „glauben“: Unmögliches für möglich halten.

Das ist gar falsch. Es ist aber zu wenig. Glauben heißt nämlich nicht, ich halte einfach was für wahr: dass man von den Toten auferstehen kann, dass eine Jungfrau ein Kind kriegt, dass Jesus Wunder tun kann, dass es Gott gibt. Selbst wenn Du das alles unterschreiben kannst, glaubst du noch nicht. Glauben heißt nicht, ich halte einfach was für wahr. Glauben heißt: ich verlasse mich da drauf. Ohne Netz und doppelten Boden. Ich bau da mein Leben drauf.

Jean François Gravelet, besser bekannt unter seinem Künstlernamen Charles Blondin, war einer der berühmtesten Hochseilartisten der Welt. 1859 überquerte er als erster die Niagarafälle auf einem 400 Meter langen Hochseil, 50 Meter über dem Wasser. Das hat er mehrmals wiederholt. Er hat verschiedene Attraktionen eingebaut. Mal hat er sich die Augen verbinden lassen. Mal hat er mitten auf dem Seil ein Spiegelei gebrachten. Er hat auch eine Schubkarre übers Seil geschoben. Sogar der Prince of Wales kam, der englische Kronprinz, um ihn zu sehen, wie er über die Niagarafälle ging. Blondin fragte ihn, ob er glaube, dass er auch einen Menschen über das Seil tragen könne. Natürlich glaubte ihm das der Prinz. Da bot er ihm an, dass er auf seinen Rücken steigen soll. Er werde ihn rübertragen. Das hat der Prinz aber dann höflich abgelehnt.

Verstehst Du? Irgendwas glauben, für wahr halten, dass das geht und einer das kann – das ist das eine. Das andere ist, sich auf Gedeih und Verderb drauf verlassen. Sein Leben drauf zu bauen. Sich selber reinbegeben in die Situation ohne die Möglichkeit wieder aussteigen zu können. Das ist das Glauben, um das es in unserer Jahreslosung geht. Das ist die Situation von diesem Vater mit seinem kranken Kind. Da geht’s nicht um die Frage, ob er glaubt, dass Jesus irgendein Kunststück hinkriegt, irgendein Wunder. Und dann schaut er ob’s klappt. Und wenn's gut geht, klatscht er Applaus. Und wenn’s nicht klappt, sagt er: Auch nicht so schlimm. Nein! Für den hängt alles davon ab, ob Jesus ihm hilft. Es ist die eine Karte, die noch hat. Auf die setzt er alles. Das ist Glauben – keine Theorie, kein philosophisches Gedankengebäude und auch kein theologisches – das ist Glauben im existentiellen Sinn.

Solcher Glaube ist alles andere als einfach. Deshalb ruft der Vater: „Ich glaube; hilf meinem Unglauben!“ Das ist paradox, widersprüchlich. Glaube und Unglaube zugleich. Aber es ist genau seine existentielle Situation. Steve Brown hat es mal so beschrieben: „Sie stehen am Rand der Klippe und schauen auf die unbeherrschbaren Bestandteile Ihres Lebens, und dann hören Sie, wie Gott Sie anruft und sagt: ,Spring und vertraue mir.‘  Manche ziehen sich dann einfach zurück. Aber manche machen die Augen zu und springen. So – und vielleicht nur so – erkennen sie, wie man vertrauen" - glauben! - "kann. Sie erkennen, dass der, der ihnen aufträgt zu springen, wirklich vertrauenswürdig ist.“ (Steve Brown, Sich Gott nähern. Wie man beten kann, Neuhausen-Stuttgart 1997, 80-81)

Was glauben ist.

2. Was Glauben kann.

„Berge versetzen“ – sagt man beziehungsweise hat Jesus gesagt. Von dem stammt das: „Wer zu diesem Berge spräche: Heb dich und wirf dich ins Meer! und zweifelte nicht in seinem Herzen, sondern glaubte, dass geschehen würde, was er sagt, so wird‘s ihm geschehen.“ (Markus 11,23) Adrian Plass, britischer Schriftsteller, hat ein Buch geschrieben mit dem Titel: „Tagebuch eines frommen Chaoten“. Da kommt er auf diesen Satz zu sprechen und sagt sich: Das will ich mal ausprobieren. Aber weil mein Glaube vielleicht nicht ganz so groß ist, versetze ich nicht gleich einen Berg, sondern nehm‘ mal die Büroklammer auf meinem Schreibtisch. Die muss sich doch um ein paar Zentimeter verschieben lassen. Dann setzt er sich hin und glaubt ganz fest dran. Und die Büroklammer verschiebt sich – nicht. Er kriegt’s nicht hin.

Tja, vielleicht hatte er wirklich nicht genug Glauben, nicht mal genug für eine Büroklammer. Vielleicht sollten wir den Glauben aber auch nicht einfach als eine magische Kraft verstehen, mit der wir irgendwelche Scherze machen können oder das erreichen und bekommen können, was wir uns wünschen. Adolf Schlatter weist in seiner Auslegung zu der Stelle darauf hin, dass zu dem Versprechen mit dem Bergeversetzen der folgende Satz untrennbar dazugehört, wo Jesus sagt: „Alles, was ihr betet und bittet, glaubt nur, dass ihr‘s empfangt, so wird‘s euch zuteilwerden.“ Der Glaube und das Gebet gehören untrennbar zusammen. Nicht meine Kraft ist es, die Berge versetzt. Sondern GOTT versetzt Berge, wenn ich bete und ihn vertrauensvoll bitte.

Glaube und Gebet gehören zusammen. Das zeigt sehr eindrücklich unsere Jahreslosung. Da kommt in einem Satz beides zusammen: Der Glaube: „Ich glaube“, beginnt der Vater – und dann wird seine Aussage zu einer Bitte, einem Gebet: „Hilf meinem Unglauben!“ Beides ist gleichzeitig: Sein Glaube und die Bitte, dass er glauben kann.

Ich bin mir nicht ganz sicher, aber vielleicht kann man sogar so weit gehen uns sagen: Sein Glaube IST diese Bitte. Auf jeden Fall äußert sich der Glaube in der Bitte. Wie viele Leute sind zu Jesus gekommen und haben ihn um Hilfe gebeten, Frauen, Männer, Blinde, Gelähmte, Väter, Mütter. Sie haben ihn einfach nur gebeten: Hilf mir! Und Jesus hat geholfen, so wie übrigens auch in diesem Fall, aus dem die Jahreslosung stammt. Und ganz oft hat Jesus dann den Satz gesagt: „Dein Glaube hat dir geholfen.“ Die Bitte war der Glaube.

Und hier bittet einer um den Glauben. Und der Evangelist Paul Müller schreibt dazu: „Wir dürfen die Bitte des Vaters ohne Einschränkung zu unserer täglichen Bitte machen.“

Dieser Glaube, der weiß, dass er und wie hilflos er eigentlich ist, dieser Glaube, der völlig auf Jesus angewiesen ist, dieser Glaube kann Berge versetzen. Diesem Glauben wächst eine Kraft zu, die alles kann. Nicht, weil der so groß und toll ist, der da glaubt, sondern weil er GOTT alles, aber auch wirklich alles zutraut.

Kennt Ihr die Geschichte von den drei Männern im Feuerofen? Schadrach, Meschach und Abed-Nego.  Das waren drei hohe jüdische Beamte beim babylonischen König Nebukadnezar. Der hat eine riesige Statue von sich erreichten lassen aus purem Gold. Und dann hat er von allen seinen Beamten verlangt, dass sie sich vor die Statue hinknien sollen und den König als Gott verehren. Das haben auch alle gemacht – außer den dreien. Da hat sie der Nebukadnezar verhaften lassen und hat gesagt: Wir wiederholen das jetzt nochmal. Und dann kniet ihr euch auch hin. Und wenn ihr’s nicht tut, dann werdet ihr in einem großen Ofen verbrannt. Und wer kann euch dann noch retten? Wisst Ihr, was die dem König geantwortet haben? „Unser Gott, den wir verehren, kann uns erretten aus dem glühenden Feuerofen, und auch aus deiner Hand, o König, kann er erretten. Und wenn er's nicht tut, so sollst du dennoch wissen, dass wir deinen Gott nicht ehren und das goldene Bild, das du hast aufrichten lassen, nicht anbeten werden.“ (Daniel 3,17-18) „Unser Gott… kann uns erretten“ – die trauen Gott alles zu. Und sie verlassen sich sogar auf ihm, sollte er KEIN Wunder tun und ihn helfen. Krass!

Was Glauben kann.

3. Glaubst du?

Ich meine: Das ist doch die eigentliche Frage, die uns die Jahreslosung stellt: Glaubst du? Nicht: Wie stark glaubst Du? Nicht: Wie wenig glaubst Du? Nicht: Wie glaubst du genau? Die Frage ist schlicht und einfach: Glaubst du? Verlässt Du Dich auf Jesus? Gehst Du zu ihm? Bittest Du ihn um alles, was Du willst? Flehst Du ihn an? Schreist Du ihn an, wie dieser Vater: „Ich glaube; hilf meinem Unglauben!“

Der sagt ja nicht bei einer gemütlichen Tasse Kaffee: Ha ja, ich glaube, oder vielleicht auch nicht. Glaube oder kein Glaube oder an wen ich glaube, so wichtig ist das ja nicht. So interpretieren manche diesen Vers, als ob’s egal wäre ob ich an Jesus glaube oder nicht. Aber hier ist gar nichts egal. Dem Vater ist gar nichts egal. Dem kommt alles drauf an, dass Jesus ihm hilft. Der schreit Jesus an: „Ich glaube; hilf meinem Unglauben!“

Diesen Glauben, der ja mehr eine Bitte ist um Glauben, aber der sich genau dadurch ganz an Jesus klammert - diesen Glauben, den wünsche ich Dir!

Glaubst Du?