Die Orgel tanzt den Tango

NEUHAUSEN: Konzert zum Valentinstag in der Christuskirche – „Das sind die Blumen gewesen“

Von Peter Dietrich

Sven-Oliver Rechner an Orgel
© Peter Dietrich

Eigentlich mag Ulla Gebert die Orgelmusik gar nicht so arg. Trotzdem hat ihr das Orgelkonzert zum Valentinstag in der evangelischen Christuskirche in Neuhausen sehr gut gefallen. Denn das Repertoire reichte bis zu Charleston und Tango. Dazu gab es humorvolle und nachdenkliche Texte zur Liebe. „Es war eine schöne Mischung“, sagte Ulla Gebert, ihr Mann Stefan war genauso begeistert: „Für ein Orgelkonzert war das sehr poppig.“ Er hatte seiner Frau zum Valentinstag Blumen überreicht und sie überredet, am Nachmittag zum Konzert zu gehen.

Die Musikauswahl hatte Bezirkskantor Sven-Oliver Rechner getroffen. Der Tango war doch sicher eine Bearbeitung für Orgel? Nein, der 1955 geborene Komponist Andreas Willscher hat ihn im Original für die Orgel geschrieben, er und der Charleston gehören zu seiner „Tanz-Suite“. Zum Konzert gehörte aber auch klassische Hochzeitsmusik wie Felix Mendelssohn-Bartholdys „Hochzeitmarsch“ aus dem Sommernachtstraum. „Das sind die Blumen gewesen“, meinte Helga Klotz, die mit ihrem Mann Werner zum Konzert gekommen war, der dieses als „unwahrscheinlich facettenreich“ empfand. Der musikalische Favorit von Andreas Kißler war Johann Sebastian Bachs „Air“ aus der Orchestersuite Nr. 3. Er feiert mit seiner Frau Petra in diesem Jahr die Silberhochzeit. Deshalb hatte die Kirchengemeinde den beiden eine extra Einladung geschickt.

Petra Kißler hatte bei der Textauswahl von Pfarrer Matthias Trick einen klaren Lieblingstext: das 13. Kapitel des Briefes, den der Apostel Paulus den Christen in Korinth geschickt hatte. Er machte ihnen klar, dass ohne Liebe alles nichts ist. Ein weiterer sehr tiefer Text stammte von Dietrich Bonhoeffer. Aus dem Gefängnis schrieb der selbst Verliebte einem Freund eine Hochzeitspredigt: „Ehe ist mehr als eure Liebe zueinander, denn sie ist Gottes heilige Stiftung.“ Zu den leichten Beiträgen gehörte eine Begegnung im Zugabteil. Dort sitzt ein seit 50 Jahren verheiratetes Paar zwei jungen Verliebten gegenüber. Als sich die beiden ausgiebig küssen, schaut die Frau mit feuchten Augen zu ihrem Mann: „Das dürftest du auch mal tun.“ Worauf dieser völlig daneben antwortet, er kenne die beiden doch gar nicht. Darf in der Kirche gelacht werden? Na klar. Das galt auch für eine zweite literarische Begegnung im Zugabteil, die vom tiefsinnigen jüdischen Humor bestimmt war. Frei heraus, teils bissig und humorvoll, schrieb Matthias Claudius, von dem viele nur das brave Abendlied „Der Mond ist aufgegangen“ kennen. Im Gedicht, das er seiner Frau zur silbernen Hochzeit schrieb, kam er zu einem eindeutigen Schluss: er sei mit ihr so gut dran, dass nur Gott ihm eine solche Frau habe geben können. Zum Kinderlied „Wenn einer sagt: ‚Ich mach, Dich, Du‘“ las Trick den Text, bevor Rechner die Register zog. Auch ein Abschnitt aus dem Hohelied Salomos gehörte zu den Lesungen: „Liebe ist stark wie der Tod.“ Wäre dieses Lied nicht Teil der Bibel, wäre es in den Irrungen der Kirchengeschichte wohl irgendwann auf dem Index der verbotenen Literatur gelandet.

Eine Zugabe gab es nicht, aber der Applaus der rund 70 Besucher hätte eine solche gerechtfertigt. Getanzt wurde der Tango übrigens nur von der Orgel, was aber nicht an der Gema lag, die für Tanzveranstaltungen in der Kirche eine Extrazahlung will. „Wenn ich in meinem Kopf mittanze“, meinte dennoch ein Zuhörer, „dann kann die Gema nichts verlangen.“

 

Erschienen in der Esslinger Zeitung, 16.02.2016